Rian Verhoeven
Ludwig Jacob, ein Deutscher jüdischen Glaubens, der nach dem Novemberpogrom im Alter von sechzehn Jahren mit einem Kindertransport in die Niederlande gekommen war, kam oft zum Merwedeplein. Dort wohnte sein Bruder Rudolf mit seiner Frau Ursula und dem kleinen Sohn Ralph. Ludwig lebte im jüdischen „Arbeitsdorf Wieringermeer“. Zusammen mit etwa 300 anderen jungen jüdischen Flüchtlingen machte er dort eine landwirtschaftliche Ausbildung, um sich auf eine eventuelle Auswanderung nach z.B. Palästina oder Südamerika vorzubereiten.
Junge Jüdinnen und Juden aus Deutschland kommen am Merwedeplein unter
Als die deutschen Besatzer Ende März 1941 das Arbeitsdorf plötzlich schlossen, zog Ludwig zu seinem Bruder am Merwedeplein. Auch andere „Arbeitsdörfler“ fanden am und rund um den Platz eine Bleibe, oft bei Gastfamilien. So wohnte der jüdische Deutsche Adolf Gerson Frohmann (28), der in Wieringermeer als Lehrer gearbeitet hatte, mit seiner Frau Karola und der kleinen Tochter Eva im Nebenaufgang der Familie Frank. Auch die Franks kümmerten sich um einen ehemaligen Arbeitsdorfbewohner: Hermann Wilp. Anne Frank nennt ihn „den Pflegesohn“. Viele junge Männer aus dem Arbeitsdorf kannten einander und besuchten sich gegenseitig.
Das Arbeitsdorf wird wieder geöffnet
Am 11. Juni 1941 lag bei Ludwig und anderen männlichen ehemaligen „Arbeitsdörflern“, die in Amsterdam lebten, eine Nachricht vom „Judenrat“ im Briefkasten. Darin hieß es, das Arbeitsdorf Wieringermeer solle wieder geöffnet werden und die Deutschen würden sie abends zu Hause abholen. Die Verwaltung des Arbeitsdorfs und der „Judenrat“ waren erfreut über den Entschluss der deutschen Behörden, denn in Amsterdam gab es kaum Arbeit für die Jugendlichen.
Ein paar Tage zuvor hatte der SD-Mann Klaus Barbie den „Judenrat“ aufgesucht und darum gebeten, den ehemaligen Bewohnern des Arbeitsdorfs eine Nachricht zu senden, damit sie keinen Schreck bekämen, wenn sie abgeholt würden. Und er bat um eine Liste mit den Namen und Anschriften. Der „Judenrat“ hatte keine Einwände. Willy Lages, der Leiter des Sicherheitsdienstes, ließ die Liste nach Wohnvierteln aufschlüsseln und gab Amsterdamer Polizisten den Befehl, die jungen Männer abends ab 19 Uhr abzuholen. Die deutsche Ordnungspolizei unterstützte sie dabei.