Ein richtiges Versteck
Johan Voskuijl arbeitet im Lager von Opekta und Pectacon. Im August 1942 schreinert er einen schwenkbaren Bücherschrank, der den Zugang zum Hinterhaus tarnt. So bleibt das Versteck der Familie Frank und der anderen Untergetauchten geheim. Bis zum 4. August 1944, dem Tag, an dem alle verhaftet werden.
Der Bücherschrank zugänglich für das Publikum
Otto Frank überlebt als Einziger der acht Untergetauchten den Krieg. Er möchte das Haus Prinsengracht 263 für das Publikum öffnen. Doch es befindet sich in einem erbärmlichen Zustand. Deshalb lässt er es in den Jahren 1958-1960 gründlich sanieren. Im Zuge dieser Arbeiten wird der Bücherschrank stabilisiert und mit einem Metallrahmen versehen. Seit der offiziellen Eröffnung des Anne Frank Hauses am 3. Mai 1960 wird der originale Bücherschrank dem Publikum ungeschützt gezeigt.
Der originale Bücherschrank
Besucher*innen betreten das Hinterhaus durch die enge Türöffnung neben dem schwenkbaren Bücherschrank. Für viele von ihnen ist der Besuch des Hauses eine sehr bewegende Erfahrung. Sie versuchen nachzuvollziehen, wie es sich anfühlt, 2 Jahre lang eingeschlossen zu sein, abgeschottet von der Außenwelt und in Angst zu leben.
Authentizität und Wahrnehmung sind sehr wichtig im Anne Frank Haus. Die meisten Besucher*innen zeigen großen Respekt vor dem authentischen Schrank. Dennoch hat er in den vergangen 50 Jahren Schaden genommen. Aufgrund der wachsenden Zahl der Besucher*innen verschlechtert sich der Zustand des Bücherschranks weiter.
Schaden durch das Publikum
Beobachtungen vor Ort und mit Hilfe von Kameraaufnahmen vermitteln ein deutliches Bild, wie sich Besucher*innen verhalten. Manche fassen den Schrank an oder stoßen gegen das Holz. Andere halten sich am Schrank fest, wenn sie die hohe Stufe zum Hinterhaus betreten, und gelegentlich zieht jemand am Griff, um zu testen, ob sich der Schrank bewegt. So entstehen viele Schrammen, und die Oberfläche des Schranks verschmutzt.
Bücherschrank bereit für die Zukunft
Im Laufe der Jahre wurde der Schrank regelmäßig gereinigt. Auch kleinere Restaurationsarbeiten waren nötig. Mehrmals wurde die Expertise externer Restauratoren eingeholt.
Seit 2008 wird der Erhaltungszustand genau beobachtet. Jedes Jahr fotografieren wir den Schrank von allen Seiten. Er wird gereinigt und, soweit notwendig, restauriert. Diese Maßnahmen sollen einen weiteren Verfall verhindern.
Im Laufe der Zeit erkannten wir anhand der Zustandsprotokolle und Beobachtungen, dass weitaus mehr nötig war, um den Schrank zu schützen. Das Hinweisschild „Nicht berühren“ reichte nicht mehr aus.
Wir untersuchten im Jahr 2013, wie der Schrank am besten vor weiteren Beschädigungen geschützt werden könnte. Im Museum spielt die Wahrnehmung eine wichtige Rolle, und das soll auch in Zukunft so bleiben.
Empfehlungen von Expert*innen
Gemeinsam mit verschiedenen Experten wurde nach einer Möglichkeit gesucht, den Schrank zu schützen, ohne die besondere Erfahrung beim Betreten des Hinterhauses zu beeinträchtigen.
Im Juni 2013 fand ein Expertentreffen statt. Mehrere Konservatoren, ein Möbelrestaurator, Innenarchitekten, ein Professor der Museologie und mehrere Museumsdirektoren beschäftigten sich mit der Zukunft des Bücherschranks.
Publikumsforschung
Nach dem Expertentreffen haben Kolleg*innen aus anderen Museen, Restaurator*innen und Designer*innen mit uns über die Zukunft des Bücherschranks nachgedacht.
Auch Museumsbesucher*innen und Schüler*innen aus dem In- und Ausland wurden in die Überlegungen einbezogen. Wir baten sie bei ihrem Besuch im Haus um ihre Meinung zu folgenden 5 Aussagen:
• Der Bücherschrank ist untrennbar mit dem Raum verbunden.
• Eine Berührung des originalen Bücherschranks bereichert den Besuch um eine zusätzliche Dimension.
• Das Original kann durch eine Replik ersetzt werden.
• Der Bücherschrank sollte benutzt werden, bis er zerfällt.
• Die Wahrnehmung ändert sich nicht, wenn das Original hinter Glas präsentiert wird.
Untersuchungsergebnisse
Die Untersuchung ergab verschiedene Ansichten und Argumente. Den Schrank zu berühren, bereichert den Besuch für viele Menschen um eine zusätzliche Dimension. Wenn der Schrank eine Glasabdeckung hat, kann sich diese Wahrnehmung ändern. Trotzdem ist die Mehrheit, darunter viele Schüler*innen, dafür, den Schrank (teilweise) durch Glas zu schützen.
Einige Äußerungen aus der Umfrage:
• Man darf Rembrandts „Nachtwache“ doch auch nicht anfassen.
• Das Publikum empfindet den Bücherschrank als etwas Magisches. Er trägt dazu bei, sich die Situation im Hinterhaus vorzustellen. Der Schrank darf deshalb nicht aus diesem Raum entfernt werden.
• Die Wahrnehmung ändert sich zwar, aber es ist die Frage, ob das schlimm ist. Vielleicht macht es den Bücherschrank sogar noch authentischer.
• Mir wird erst jetzt bewusst, dass der Bücherschrank der orginale Schrank ist.
• Eine Replik wäre einfach unmöglich.
Eine Lösung für die Erhaltung und Wahrnehmung des Bücherschranks
Erhaltung ist wichtig, aber Wahrnehmung auch. Bevorzugt wird deshalb eine partielle Abschirmung des Bücherschranks. So wird auf jeden Fall das Risiko einer mechanischen Beschädigung größtenteils ausgeschlossen. Um eine Vorstellung zu bekommen, wie das aussehen würde, erstellte das Architekturbüro OTH eine Visualisierung.
Eine gläserne Hülle für den Schrank
Zusammen mit dem Designer und dem Restaurator wurde eine Anforderungsliste erstellt und der Firma Glascom vorgelegt. Die beteiligten Parteien erarbeiteten den Entwurf einer Glaskonstruktion, bei der zwei Seiten und die Oberkante des Bücherschranks durch entspiegeltes Glas geschützt werden. Die offene Seite des Schranks mit den Ordnern ist nicht geschützt, da dort keine Besucher*innen entlanggehen.Im Entwurf wurde berücksichtigt, dass der Schrank für die Pflege und Reinigung gut zugänglich bleibt. Besonders geachtet wurde auch auf die Befestigung an der Wand und die Belastbarkeit des Fußbodens. Zuerst wurde ein hölzernes Modell angefertigt, um zu überprüfen, ob die Glashülle passen würde. Danach konnte sie genau nach Maß hergestellt werden. Am 8. Mai 2014 wurde die gläserne Schutzhülle angebracht.